nachher, um keinen Preis mehr Pferde erhalten, und mußte in Moskau bleiben, weil – wie ich nun klar einsehe – davon mein und meiner Kinder zeitliches Wohl, und wie ich von der Barmherzigkeit Jesu hoffe, auch unser ewiges Loos dadurch befördert ward. Kein Christ wird zweifeln, daß der Allmacht Gottes alles möglich ist; aber wie Jesus in den Tagen Seines Fleisches keine Wunder verrichtete, als wenn die natürlichen Mittel unzulänglich waren, und auch in der Geschichte des alten Bundes, Gott nur dann Beweise Seiner unmittelbaren Einwirkung gab, wenn es auf bekannten Wegen unmöglich war, so handelt die göttliche Weisheit auch noch jetzt, in den Schicksalen ganzer Völker, und einzelner Menschen, und benutzet, oder füget, die vorhandenen Hülfsmittel, um diejenigen Wirkungen hervorzubringen, die Ihm, dem Herrn wohlgefällig sind. So weit menschliche Einsichten reichen, kann ich mit Sicherheit behaupten, daß ich in Petersburg; ohne ein auffallendes Wunder, weder zu dem Grade des Wohlstandes, durch unser, an diesem Orte beschränktes Handelsgeschäfts, – noch zu einer völlig veränderten Geistesansicht – welche durch die Leiden, und Gefahren in Moskau in mir hervorgebracht wurde – noch zu einer solchen Vorarbeit, in kirchlichen, und Schulangelegenheiten – durch thätigen Antheil an den Geschäften des Kirchenraths – gelangen konnte; welches alles vorangehen mußte, bevor ich den Entschluß Prediger zu werden, nur mit einiger Wahrscheinlichkeit des Gelingens fassen, vielweniger ausführen konnte. Ich hatte auch schon vor 25 Jahren, aus dem ungewöhnlichen Leidensgange meines Lebens, so viel gelernt, daß ich alle mich betreffende Lebensereignisse nicht für zufällig, sondern, für weise Fügungen der Barmherzigkeit Gottes hielt. Sobald ich also Moskau nicht verlassen konnte, ergab ich mich dem Willen des Herrn, und war so ruhig, als es nur immer in gefahrvollen Lagen, dem einem Gott vertrauenden Menschen möglich ist, der gleichwohl, wie alle seine Brüder, ein Herz im Busen trägt, welches zu Zeiten eben so trotzig, als verzagt ist. Ich komme nun zur Sache. Bis zum Ende des Augustmonates, ward das volkreiche Moskau beynahe Menschenleer, und die Gefahr, für die wenige Ausländer welche freywillig, oder nothgedrungen zurückblieben, mit jedem Augenblick größer, wie die auf den Straßen, und in den Häusern durch das verbitterte Volk verübten Excesse bewiesen. Vorzüglich war die Schmiedebrücke – eine Straße wo die meisten französischen Magazine sich befanden, und welche fast nur von Ausländern bewohnet war – dem Volke, ein Dorn im Auge, und in andern Stadttheilen gingen Gespräche im Umlauf „als ob in der verflossenen Nacht, alle Ausländer, die auf der Schmiedebrücke wohneten, umgebracht worden wären“ welches ich dadurch erfuhr, daß mehrere Herrschaften, die mich kannten, zu mir geschicket haben und mich fragen ließen „ob ich noch am Leben sey“? Der damalige Generalgouverneur Herr Graf von Rostoptschin, erließ zwar Proclamationen an das Volk, worin ihm vorgestellet ward, wie wenig es ihm zur Ehre gereiche, wenn sie gleich einem ausgetrockneten Hering magere Franzosen, oder Deutschen mit der Perücke todtschlügen; aber diese scherzhaften Bületins waren wenig geeignet das Volk zu schrecken. Darum verließ ich auch am 30sten August gegen Mitternacht, meine Wohnung an der Schmiedebrücke, da es in dieser Nacht, wie bisher noch nie auf dieser Straße, so geräuschvoll und unruhig war, wie ich es seit meiner Ankunft in Moskau noch nie bey Tage gehöret hatte, obwohl die Schmiedebrücke eine der frequentesten Straßen in Moskau ist. Mit meiner 16 jährigen Tochter an der Hand floh ich zu dem Kaufmann Schilling; welcher entschlossen war wegen seiner zahlreichen Familie, und der vielen Waaren die er in Commission hatte, und nicht bergen konnte, gleichfalls in Moskau zu bleiben. Auf dem Hinwege wurden wir vom Pöbel verfolgt, und es war ein Glück, daß der Dwornick im Schillingschen Hause uns gleich beym ersten Anklopfen die eiserne Hofthüre öffnete, und eben so schnell hinter uns schloß, als er unsere Verfolger sah, vor denen wir einen kleinen Vorsprung hatten, weil sie erst aus dem Zimmer, wo sie uns vorbeigehen sahen, und uns zuriefen: Ihr verfluchten Ausländer, wir wollen euch todtschlagen: erst über den Hof ihres Wohnhauses gehen mußten, dessen Ausgang erst in eine Nebenstraße führete. Dieser kleine Vorsprung den wir durch schnelles Laufen benutzten, und daß der Dwornick noch um Mitternacht sich grade der Pforte so nahe fand, um uns gleich einlassen zu können, rettete uns das Leben. Die Schillingsche Familie nahm uns sehr freundlich auf, und luden uns ein, bey ihnen zu bleiben, und alle kommenden Ereignisse gemeinschaftlich mit einander zu tragen. Die Laden an den Fenstern und der Eingang des Hauses, waren so feste und wohl verwahret, der Anwesenden, meist junge und kräftige Männer so viele, daß ein mäßiger Sturm leicht abgeschlagen werden konnte. Am Sonnabend – den 31sten August – liefen so viele Nachrichten von der Lebensgefahr der noch in Moskau sich befindenden Ausländer, von allen Seiten ein, daß es die Schillingsche Familie für Pflicht hielt, um jeden Preis lieber die Stadt zu verlassen, als umgebracht zu werden. Die ältern Söhne waren auch so glücklich, für ungewöhnlich hohes Fuhrgeld Pferde zu bekommen. Nun baten mich alle, (so sehr beenget auch ihre Wagen waren) sie zu begleiten. Ich sah aber die Unmöglichkeit ein, wenn ich nicht zu Fusse nebenhergehen wollte; und bat sie, nur meine Tochter mit sich zu nehmen, und am Abend um eilf Uhr fuhren sie ab. Bey unserm beyderseitigen Abschied, konnten wir nur hoffen, uns erst in der Ewigkeit wieder zu sehen; da sie auf der Reise nicht mindern Gefahren entgegen gingen, als ich in der Stadt zu erwarten hatte. Ein kräftiges, gläubiges, und gemeinschaftliches Gebet, welches ich mit meiner Tochter, etwa zwey Stunden vor der Abreise hielt, hatte sie, und mich so gestärkt, daß wir im entscheidenden Augenblick, uns ein ebenso schmerzloses Lebewohl sagten, als wenn wir uns in wenigen Stunden wiedersehen würden.
Die abreisende Familie nahm nur die allernöthigsten Bedürfnisse mit, weil kaum Platz für die Personen im Wagen war; alles andre blieb zurück. Deshalb bat mich Herr Schilling, in seinem Hause wohnen zu bleiben, und die Aufsicht, sowohl über seine Effecten, als zurückgelassenen Commissions-Waaren zu übernehmen.
Ich muß noch einen, und zwar den Hauptgrund anführen, weßhalb ich in der Nacht vom Freitag auf den Sonnabend, meine Wohnung an der Schmiedebrücke verließ. Der Graf Rostoptschin hatte mehrere gedruckte Auffoderungen an das Volk ergehen lassen, sich zu bewaffnen, und beym ersten Ruf, sich auf den Sperlingsbergen zu versammeln, und jedem Ausbleibenden ward die härteste Strafe angedrohet. Mein Kutscher, ein junger verwegener Kerl, mit einer Satansphysiognomie, brachte daher alle Tage eine Menge ihm gleichgesinnter Kerle, auf unsern geräumigen Hofe zusammen, mit denen er exercirte, lärmte, und sie harangirte. Er sagte ihnen oft, daß nun endlich das Blatt sich gewendet hat, die Leibeigenen, Herren, und die bisherigen Herrschaften entweder todtgeschlagen oder Bauern werden müssen. Schweigend mußte ich dieses Unwesen dulden, und mein nothgedrunges Schweigen, machte den Kutscher mit jedem Augenblick frecher, so daß er endlich meine Tochter in die Backen kniff sie küssen wollte, über ihr Sprödethun spottete und sich zu sagen erfrechte: Sie werde bald anders denken, und ihm danken, wenn er ihr Beschützer seyn würde. Als ich in der Nacht vom Freitag erfuhr, daß der Kutscher und sein Anhang nicht zu Hause sind, benutzte ich die Zeit zur Flucht in das Schillingsche Haus. Kaum war aber meine Tochter mit dieser Familie abgereist, so fiel es mir ein, wie grimmig und erbittert der Kutscher seyn wird, wenn er weder meine Tochter, noch mich bey seiner Rückkunft im Hause finden würde. Jetzt stieg in mir die Besorgniß auf, daß dieser verwegene Kerl, unsern Aufenthalt entdecken, und welche Gefahr – nicht sowohl für mich – denn ich trug, wie man zu sagen pflegt, die ganze Zeither mein Leben in meiner Hand – sondern dem Schillingschen Hause, an Effecten und Waaren durch die Bosheit dieses Menschen gebracht werden könnte. Daher dachte ich auf einen Zufluchtsort, damit ich nicht im Schillingschen Hause gefunden würde, wenn der Kutscher mich dort suchen sollte, und denken muß: ich sey mit der ganzen Familie abgereiset. Daß unsere Armee eine Schlacht verloren habe, und Napoleon schon auf russischem Gebiet stehe, wußte man in Moskau, und sah es an den vielen Verwundeten, welche durch die Stadt zogen, aber ich zweifle, ob jemand, außer dem Generalgouverneur, und seinen vertrautesten Freunde, nur an die Möglichkeit gedacht habe; daß Napoleon bis Moskau vordringen könne? Noch am 31sten August erschien ein kurzes Bületin, worin im Namen des Feldmarschalls Kutusow, bekannt gemacht ward, daß er am gestrigen Tage die Franzosen total geschlagen habe, und wenn er – woran er nicht zweifle – sie den andern Tag wieder so besiegen würde, so soll kein Einziger von den eingedrungen Feinden lebendig über die russische Gränze kommen und heimkehren. – Den Datum der Schlacht, und den Ort, habe ich vergessen. Ich weiß nicht, was die Landeseinwohner von der wahren Lage der Dinge wußten, und dachten, da mein, wie alle Magazine an der Schmiedebrücke geschlossen waren, und niemand kam, von dem man etwas gewisses erfahren konnte. Aber die Ausländer suchten gegenseitig bey einander Rath und Trost, so oft sie in dieser ganzen Zeit ohne Gefahr zusammen kommen konnten. Bey einer solchen Gelegenheit, sagte mir der Theatermaler Herr Czermack – der den Muth hatte, für die ersten gefangenen Franzosen, welche sehr abgerissen waren, aus reinem Gefühl der Menschlichkeit, ohne an der Nation Anhänglichkeit zu haben, eine Collecte – nicht ohne Gefahr für sich – zu sammeln, und in dieser Absicht auch zu mir gekommen war. Ich wohne bey einem russischen Geistlichen, in der Pereulock Lawrentie Nawrasche, nahe an der Twerskoy, u. dieser hat mir versprochen, mir, und einigen meiner Freunde, einen