Hinterseite, durch eine bequeme Pforte, ganz nahe zum Kreml führete. Noch auf der Schmiedebrücke wollte er zurückkehren, wovon ich ihn nur dadurch abzuhalten vermochte, daß ich eine solche Versicherung, wie ich sie ihm mehreremale gegeben hatte, nicht wagen würde, wenn ich meiner Sache nicht gewiß wäre, da er sich ja auf den ersten Blick selbst überzeugen könnte, ob ich ihn irre geführt habe? Ich fand bey unserer Ankunft auf der Schmiedebrücke, alles Menschenleer, aber die Häuser unversehrt. Ich zeigte dem Obristen das Haus schon in der Ferne, welches ihm zwar dem äussern nach gefiel, aber dennoch nach seiner Meynung zu entfernt vom Kreml läge. Die Pforte des Dimidowschen Hauses, war nicht wie alle übrigen (an denen wir vorübergingen) verschlossen, sondern nur angelehnt, so daß wir in den Hof gehen konnten. Mein erster Blick fiel auf sieben Bauren, welche mit arme Sünder Mienen kniend auf den Boden lagen – unter denen ich mehrere Dwornicks erkannte – und umringt von vielen französischen Soldaten, von denen Einige ihre Gewehre im Anschlag hielten, sie zu erschießen. Sogleich bat ich den Obristen auf das Flehentlichste, der Sache Einhalt zu thun. Nun fragte er die Soldaten, warum sie diese Leute erschießen wollten? und erhielt zur Antwort: Sie wären im anstoßenden Hofe gewesen, und als einige aus Neugierde über die Mauer sahen, hätten diese Leute auf sie geschossen. Jetzt gab ihnen der Obrist recht, und befahl die Leute zu erschießen. Ich verdoppelte meine Bitten, so viel ich nur vermochte, und ersuchte den Obristen flehentlich, mir zu erlauben, daß auch ich die Leute befragen dürfte, warum sie so unsinnig gehandelt haben? Ganz treuherzig erzählten sie mir, daß Grigori Iwanitsch, der Oberuprawitel – den die Leute mehr wie Demidow fürchteten – ihnen die Bewachung des Hauses anbefohlen, und ihnen gesagt habe, sie möchten jeden, der hineindringen wollte, sogleich erschiessen, wozu er ihnen auch Flinten und Pulver gab. Aber nach dem Abzuge des Uprawitels, war das Erste was die Wächter thaten, daß sie die Vorrathskammer, und den Keller, welche reichlich gefüllt waren, erbrachen, hier fraßen und soffen sie drey Tage, und erst am vierten (Dienstage) kam einer von ihnen aus dem Keller in den Hof, grade im Augenblick als die Soldaten über des Nachbars Mauer sahen. Sogleich rief er seinen Cameraden zu, und wie sie herbey gekommen waren, legten sie ihre Gewehre auf die Fremden, ihnen unbekannten Gäste an, gaben Feuer, ohne jedoch jemanden zu beschädigen. Der Obrist lachte, dieses hielt ich für ein gutes Zeichen, meine Bitten zu erneuern, und endlich befahl er, die Leute auf die nächste Wachtstube zu bringen, damit sie ordentlich gerichtet werden könnten. Einen der ältesten Dwornicke machte ich jedoch gleich frey, weil er die Gelegenheit des Hauses, und die Schlüssel kannte, die, wie ich recht vermuthet hatte, sich in des Uprawitels Wohnung befanden. Der befreyte Dwornick erhielt Befehl nach den Schlüsseln zu suchen, welches er freudig übernahm, und ich führte vor allen Dingen den Obristen durch alle drey Höfe hindurch, hinaus auf den damaligen Aepfelmarkt, ganz nahe an der Nikolsky Pforte, nun sah er den Kreml so nahe vor sich, als wäre er nur durch eine Mauer von ihm geschieden. Meine Wohnung, ein hölzerner Flügel, dicht am steinernen Hauptgebäude befindlich, war nicht verschlossen, und ich fand noch alles genau auf derselben Stelle, wie ich es Freytag in der Nacht verlassen hatte. Der Kutscher muß also nicht mehr zurückgekommen seyn, und die Trinklust der Wächter rettete meine zurückgelassenen Haabseligkeiten. Der Obrist trat mit mir zugleich in meine Wohnung, befahl mir die verschlossenen Laden zu öffnen, und ohne noch den Dwornick mit den Schlüsseln abzuwarten, wollte er davon eilen, seine Kameraden zu suchen. Ich machte ihm bemerklich, daß ich Vogelfrey allein zurückbleibe, und leicht seine Rückkunft nicht erleben könnte; nun foderte er Kreide, und schrieb an das Hofthor, welches sowohl zum steinernen, als hölzernen Hause führte, – „Wohnung für die Adjutanten des Marschalls Bertier [“]. – Nun sind Sie sicher, sagte er, es wird kein Mensch wagen ins Haus zu kommen, oder Ihnen etwas zu leide zu thun. In demselben Augenblick aber, ritt ein Piquet Gensdarmes vorbey. Der Obrist rief den Offizier ans Fenster, nannte seinen Namen, und bat ihn zwey Mann zur Sauve Garde, bey diesem Hause stehen zu lassen, bis er und seine Cameraden Besitz davon genommen haben würden. Sogleich befahl der Offizier zween Gensdarmes, hier Posto zu fassen. Sie führten ihre Pferde in den Hof, stiegen ab, und stellten sich an der Pforte hin. Ueber eine Weile, kam einer derselben ganz krumm gebückt, und sich den Unterleib haltend, zu mir ins Zimmer, und bat mich: Ob ich ihm nicht etwas zu essen geben könnte, indem er dem Hungertode nahe sey. Ich suchte im Hause umher, und fand nichts als eine Schüssel Fizebohnen, die fast unberühret am Freytage vom Mittagessen nachgeblieben war; aber in den vier Tagen, war beynahe Handhoch Schimmel darauf gewachsen, da sie bis dahin in einem verschlossenen, und dumpfichten Küchenschranke gestanden hatte. [„]Der Hunger ist der beste Koch“ behauptet ein Sprüchwort; welches sich, mindestens diesesmal vollkommen bewährete. Der hungrige Soldat verzehrete alles was in der Schüssel vorhanden war; versicherte gesättiget zu seyn, da ich in meiner Wohnung von bereyteten Speisen nichts mehr finden konnte, da unsere zurückgelassene Leute, während meiner Abwesenheit alles verzehret hatten. Zur ihrem Lob muß ich sagen daß dieses das Einzige war was sie sich zugeeignet hatten, bevor sie sich aus dem Hause entfernten, da sie, wenn sie gewollt hätten, alles was vorhanden war, und unverschlossen in den Zimmern lag, mitnehmen konnten. Genug, es fehlte nicht das Mindeste in meiner Wohnung, wie ich sie wieder betrat. Der Gensdarms war voll Dankbarkeit, da er einsah, daß er wohl noch länger ohne Speise hätte bleiben müssen, wenn ich nicht glücklicherweise, die verschimmelten Bohnen gefunden, u. ihm geben konnte. Ich wagte es daher, ihn zu bitten, einer Person sicheres Geleit zu geben, die ich mit der Kunde von meinem Leben, zu einem meiner besten Freunde, schicken wollte, falls er dieses thun könne. Er sagte „Mein Camerad und ich, sind Sauwe Garden, und keine Schildwachen. Schon die Schrift an der Pforte würde genügen, aber, wenn nur Einer von uns Beyden hier bleibt, so ist dieses für die Sicherheit des Hauses hinlänglich.[“] Ich schrieb sogleich an Herr Czermack, lud ihn ein, mit den seinigen unter Schutz des Commissairs, oder Begleitung des Gensdarmes zu mir zu kommen, da meine Wohnung mehr Bequemlichkeit, und Sicherheit als die seinige gewähre; und wir noch den Vortheil hätten vereint seyn zu können. Im Hofe fand ich eine alte Bäuerin, welche gegen ein gutes Trinkgeld bereit war, unter diesem sichern Geleite, das von mir geschriebene Billet Hr. Cz. zu überbringen; da der Gensdarmes allein, nie die Straße und die Wohnung des Hr. Cz. aufgefunden hätte; und beyde machten sich auf den Weg. Mittlerweile kam der von mir befreyete Dwornick und sagte mir „Er habe den Hauptschlüssel zum großen steinernen Hause nicht finden können,[“] aber einen Andern, der zur obern leer stehenden Etage, des hölzernen Hauses führete brachte er, und wir konnten nun in das große Haus kommen. Wir machten sogleich den Versuch, fanden alle Zimmer offen, und konnten von Innen auch den untern Eingang öffnen. Bald darauf trafen die Adjutanten des Marschalls Bertier, die Herren Obristen Flahau, Noail, Bongard, Couteil ein. Sie fanden das Haus, groß, bequem, gut meubliret, und dankten mir, als hätte ich sie aus Gnaden aufgenommen. Daß ein solches Haus nicht leer bleiben konnte, vermochte ich mir leicht zu denken. Es kam aber darauf an, wer es in Besitz nehmen würde; und da der Obrist Noaill, welchen ich dahin führte, gut Deutsch sprach, hoffte ich, bey ihm doch mehr Einfluß gewinnen zu können als bey einem Anderen, und also auch mehr zum Schutz als zum Verderben des Demidowschen Eigenthums zu thun vermögen. Ausser den Obristen Bongard, sprachen alle übrigen Adjutanten sehr gut Deutsch. Ich ward von allen Monsier le Maitre genannt; und ward wie ein Haase gehetzet, da der Eine bald dieses, ein Andrer jenes foderte. Am meisten machten mir die Bedienten zu schaffen, deren jeder von mir verlangte, ich sollte ihm anweisen, wo er das Ausgepackte hinstellen sollte. Wohl mehr als 100mal mußte ich die Treppen hinauf, und hinab, in den Stall, Wagenremisen, allen drey Höfen, Küchen, etcr. rennen. Ich hatte selbst den ganzen Tag über nichts gegessen, und fiel um halb zwey Uhr nach Mitternacht, ohnmächtig, und angekleidet wie ich war auf ein Sopha in meinem Zimmer hin; hatte aber meiner Berechnung nach nicht lange so gelegen, als ich meinen Namen rufen, und an der Hauspforte klopfen hörte. Ich erkannte sogleich Herrn Czermacks Stimme, eilte hinaus, fand ihn, seine Frau und Kinder, seine Magd, und Bedienten, und den edlen Commissair, der ihnen Pferde vor ihren Wiener Reisewagen geschaffet, und sie hieher geleitet hatte. Schon früher hatte ich von Herrn Czermack auf mein an ihn geschriebenes Billet die Antwort erhalten: Da ihn Gott so wunderbar mit den Seinigen, in seiner bisherigen Wohnung geschützet habe, und es des Herrn Fügung war, daß ihn Knauf nicht aufnahm; er es jetzt für seine Pflicht halte, ferner in dem Hause zu bleiben, wo er sich jetzt befände, und sich ganz dem alleinigen Schutze Gottes zu übergeben. Ich gestehe, daß dieser Glaubensmuth mir Freude machte, u. mir selbst nicht wenig zur Ermunterung gereichte. Doch der Mensch denkt, und Gott lenkt. Es war die Fügung des Herrn, daß die 2½ Tage die ich in Hr. Cz. Hause seyn mußte, das Mittel werden sollten, ihm und den Seinigen viele Monate einen sichern und sorgenlosen Aufenthalt in meinem Hause zu bereiten. Nachdem diese spät angekommenen, und eine aus sechs Personen bestehender russischen Familie – die ich in der vorigen Nacht von der Plünderung gerettet hatte wie ich früher erzählt habe – bey mir eintraten, und die Sachen aus den Wagen hereingetragen waren; ermunterte der gute Commissair Hr. Cz., sobald als möglich