komische Gruppe von Todten befand. Ich ging meinen Versprechen gemäß, täglich nach dem Schillingschen Hause, u. hielt dies für eine heilige Berufspflicht, zu welcher mich meine Zusage, und die Dankbarkeit verband, daß diese Familie meine jüngste Tochter mit sich genommen hatte. Diese große Wohlthat empfand ich nun verzehnfacht stark, da ich jetzt erst alle Gefahren erkannte, welchen meine Tochter durch ihr bleiben in Moskau, ausgesetzet worden wäre. Muthig, und vertrauend auf Gottes allmächtigen Beystand ging ich darum so wohl nach dem Schillingschen Hause, wie überall hin, wo ich es für Berufspflicht hielt. Dagegen that ich keinen Schritt, den ich nicht pflichtmäßig machen mußte; und so habe ich – was kaum glaublich scheinet – Napoleon nicht einmal gesehen, obgleich er jeden Tag, um 3 Uhr Nachmittags, dicht an unserm Hinterhause vorbey ritt, und ich nur in die Hofspforte treten durfte, ihn mindestens einmal zu sehen. Die bey uns im Quartier stehenden Obristen, nahmen mir diese Gleichgültigkeit sogar übel, und gaben mir dieserhalb mehrmal Verweise, die ich aber jedesmal entweder mit Mangel an Zeit zu entschuldigen, oder mit dem Versprechen, es nächstens zu thun, wieder zufrieden zu stellen suchte. Genug, ich habe Napoleon nicht gesehen. Desto muthiger ging ich aber überall hin, wo ich es Pflichtmäßig thun mußte. So kam es denn auch, daß ich ohne Begleitung, nicht einmal nach meinen Waaren und Effecten zu sehen wagte, die ich an 5 verschiedenen Orten für Plünderung und Brand wohl verwahret zu haben glaubte, als ich sie 8 bis 10 Tage vor dem Einrücken der Franzosen bey – von einander entfernt wohnenden Freunden – verborgen, und theils vermauert, theils in die Erde vergraben hatte. Erst am sechsten Tage nach Ankunft des Feindes gab mir der Obrist Cuteill eine sauve Garde die mich begleitete, und an vier Orten, fand ich entweder alles verbrannt, wie in der Apotheke des Findelhauses, wo das Feuer wegen der vielen brennbaren Materialien, auch in den untern – für Feuerfest gehaltenen – Keller eingedrungen war, theils aber die Kästen erbrochen, u. ausgeplündert. Am fünften Orte, konnte ich an diesem Tage nicht hinkommen; hörte aber bald darauf von dem Musicus Suck, der mir, beym Hinbringen und Vergraben meiner Sachen geholfen hatte; daß die Keller, im Hause des ehemaligen Schneiders – jetzt Kaufmann Beckers, gleichfalls erbrochen sind, u. offen stehen, in welchen ich einen Theil meiner besten Waaren, und besonders meine Koffer verwahret hatte. Suck versicherte, er sey im Keller gewesen, habe meine erbrochenen Koffer, und mehrere umhergestreuete Sachen gesehen, auf welchen ein todter französischer Soldat gelegen habe. Es dauerte aber mehrere Tage, bis ich wieder ein sicheres Geleit erhalten konnte. Als dieses endlich geschah, begab ich mich in Begleitung eines Gensdarmes dahin u. fand, wie es mich Suck versichert hatte, die Kellerthür erbrochen, ging aber nur sehr behutsam die Kellerstufen hinab, weil ich die dort liegen sollende Leiche, schon in Verwesung vermuthen konnte, da sie nach meiner Berechnung schon über 8 Tage dort war; ich spürete jedoch nicht den mindesten Geruch, ob ich schon dem dort liegenden Soldaten ganz nahe kam. Meine Koffer und Kisten standen wirklich leer da, und viele Pud rohe Seide lag im Keller umher zerstreut – weil diese Waare vermuthlich keinen Werth für die Plünderer hatte. Auf dieser Seide lag auch der Soldat, und unter seinem Kopfe, erblickte ich mein Tagebuch, welches ich im Jahre 1788 angefangen, und 24 Jahr fortgeführt hatte. Meine Freude über diesen wichtigen Fund war groß, und ich bückte mich, um es dem Todten unterm Kopfe wegzunehmen, welches mir auch leicht gelang; aber in diesem Augenblick, fing der vermeintliche Todte, in einem ärgerlichen Tone zu brummen an, wie jemand den man im Schlafe stören will. Ich erschrack, rief den Gensdarmes, und sagte ihm, daß dieser Soldat schon über 8 Tage hier liege, und noch am Leben sey, und bat ihn, es gehörigen Ortes zu melden; zweifle aber, ob es geschehen sey; denn ich hatte Gelegenheit, eine ähnliche Begebenheit zum zweitenmale zu sehen. Ich begleitete später wo man schon mit mehr Sicherheit – obwohl nie ganz sicher – über die Straße gehen konnte; den Schauspieler Haltenhof in seine Wohnung; und nahe an der rothen Pforte, sagte er: Wir müssen Seitwärts biegen; denn im Durchgang der rothen Pforte, sah ich vor mehreren Tagen, einen todten Husaren in voller Uniform liegen, der jetzt schon ganz in Verwesung übergegangen seyn muß. Mehr wie Haltenhof an solche Scenen gewöhnt, ging ich grade auf die rothe Pforte zu, und immer näher, als ich nicht den mindesten Geruch spürete, bis ich endlich dem Husaren ganz nahe war, und noch Spuren des Lebens an ihn fand. Man kann sich von der Unordnung des damaligen Armeekorps, welches in Moskau war, und welches aus so vielen verschiedenen Völkern und Nationen bestand, gar keinen Begriff machen. Die Disciplin war so gut wie aufgelöset, und Napoleon war zu klug, oder zu schwach, sie mit seiner gewohnten Strenge, wieder herzustellen. Man denke sich die grobe Täuschung einer Armee, die mit der größten Anstrengung bis Moskau vordrang, der große Mangel den sie auf dem Wege dahin leiden mußte, da Städte und Dörfer nicht so dicht an den Straßen liegen, wie in andern Ländern. Nun sollte sie Moskau für alle ausgestandenen Beschwerden vollkommen entschädigen; und was fanden sie hier? Eine brennende Stadt, zerstörte Magazine, und Vorräthe nicht einmal Brodt hatten sie. An Fourage fehlte es gänzlich. Weder Fleisch noch Speck war zu sehen. Nicht einmal ein Obdach fanden die Meisten. Der verpestende Gestank, von übelriechenden Dingen die in großen Massen verbrannt waren, von todten Menschen, u. crepirtem Vieh war unausstehlich, und selbst die siebzehntägige Plünderung die Napoleon erlaubte, gab nur den Allerwenigsten einen kleinen Ersatz. Gold und Silbermünzen fanden sie wenig. Assignationen, besonders wenn sie alt und unscheinbar waren, wußten sie nicht zu schätzen – und erst später ward ein Handel mit russischen Banknoten getrieben, die nicht nach dem Werthe, sondern Paquetweise gegen Gold und Silbermünzen verkauft wurden, wobey manche Einwohner, die sich mit diesem Handel abgaben, große Summen gewannen. Die reich meublirten und gut eingerichteten Häuser welche nicht abgebrannt waren, bewohnten die unzähligen Generäle u. Staabsoffiziere; daher fanden die plündernden Soldaten, ob sie gleich mit Aexten, Brechstangen, und mit Zimmerleute an der Spitze immer in Masse gingen, wenig was sie fortbringen, und sie bereichern konnte. Bey Tage hatte ich in meiner Wohnung wenig Beunruhigung zu befürchten. Die Aufschrift an der Pforte, die vielen Bedienten, und Soldaten welche immer auf dem Hofe waren, verscheuchten die Plünderer. Aber es ging fast keine Nacht vorüber in der nicht ein ganzer Schwarm Plünderer durch die Fenster meiner Zimmer drang, welche im Erdgeschoß des Hauses lagen, und ohne den unermüdlichen Beystand des guten Obristen Couteill, dessen Schlafzimmer sich gerade über den Meinigen befand; wäre ich mindestens großen Mißhandlungen nicht entgangen. Sobald ein solcher Schwarm nahete, schlug ich mit einem dazu bereitgehaltenen Staabe, an die Decke meines Zimmers, und sogleich eilte der Obriste, Degen, und Pistole in der Hand, zur Hülfe herbey, und wenn er nicht in Uniform erschien, hatte auch er manchmal einen harten Stand, weil sich die Plünderer auf die Erlaubniß Napoleons beriefen. Ich sah in den meiner Wohnung gegenüber liegenden Häusern, während des Tages, oft förmliche Scharmützel, zwischen plündernden Soldaten, u. Offizieren zu, die nicht in den Magazinen selbst, sondern im hintern Gebäude der Häuser wohneten, deren vordere Flügel von Modehändlerinnen in Miethe genommen waren und mehrere Soldaten verloren ihr Leben dabey, weil bey solchen Gelegenheiten, sogleich viele Offiziere herbey eileten, die auf der Schmiedebrücke in Quartier standen, um den schönen Modehändlerinnen beyzustehen, die Soldaten aber bestanden darauf nur die Häuser verschonen zu dürfen, die von Offizieren wirklich bewohnet wären. Dieses dienet zum Beweis, wie schwach die Subordination zu dieser Zeit war, und wie wenig Werth ein Menschenleben hatte. Die Offiziere verstanden jedoch ihren Vortheil besser wahrzunehmen. Wenn sie in einem wohl und reich eingerichteten Hause wohnten, und die geheimen Vorraths, oder Verbergungsorte entdeckten, eigneten sie sich das Theurste und Beste davon zu, und luden auch ihre Bekannte und Freunde ein, zu nehmen, was sie selbst nicht mehr brauchten, oder nicht fortbringen können vermeyneten. Auf diese Weise, brachten auch unsre vier Obristen fast täglich, die Schönsten, und theuersten Sachen nach Hause, die sie aus der Wohnung ihrer Freunde, mit deren Bewilligung, nahmen. Dagegen gaben sie nicht zu, daß ihre Bedienten im Demidowschen Hause, die verschlossenen Ambaren, und Kladawoyen öffnen durften, und eben sowenig im Hause, nach verborgenen Dinge suchen durften. Ich zeigte der russischen Behörde, gleich nach ihrer Ankunft in Moskau, sogleich an, daß sich – nach der Schätzung der französischen Offiziere – mehr als für 16000 Franken, kostbare Sachen in ihrer innegehabten Wohnung befänden; welche sie mir bey ihrem Abzuge zwar geschenket hatten, die ich mir aber weder mit Recht zueignen könnte, weil es fremdes Eigenthum war, und auch als gestohlnes Gut, nicht zueignen wollte. Der Major unseres Stadttheils Grandjean, nahm diese Dinge von mir in Empfang, und die fremden Meublen wurden nach der Wohnung des Herrn Grafen Rostoptschin auf der Lubianka gebracht, da man natürlich nicht wissen konnte, aus welchen Häusern sie weggenommen waren. Demidow hatte durchaus keinen Schaden gelitten, vielmehr ist noch manches im Hause geblieben, was die Polizey, in den damaligen Umständen, nicht der Mühe werth hielt, fortnehmen zu lassen. Es hatte sich auch oft ereignet, daß unsere Einwohner, bey ihrer Nachhausekunft von Besuchen bey ihren Freunden, mir Geschenke mitbrachten – welche ihnen freylich nichts gekostet hatten. Ich betheure vor Gott, daß ich trotz allen Zureden, mich nie bewegen ließ, etwas anzunehmen, ob es gleich Sachen von Werth waren. Meine Entschuldigung war stets – da ich den wahren Grund meiner Weigerung – daß es gestohlenes Gut sey – nicht gut angeben konnte: Wenn einst der frühere Eigenthümer diese Sachen in