freywillig. Nicht sowohl um Demidows Eigenthum zu erhalten, sondern ihr eignes, in dieser Zeit erworbenes Gut nicht zu verlieren. Wenn Bancnoten, oder sonst etwas auf unserem Hofe zum Verkaufe gebracht wurde, wies ich es stets meinen russischen Einwohnern zu – weil ich ja doch keine Macht hatte, es ihnen zu wehren, wenn ich es auch wollte. Besonders verdienten der Hutmacher und seine Frau viel Geld. Er wendete Offiziershüthe, daß sie wie neu aussahen für 20 Franken das Stück, und behielt noch die alte Goldbesetzung, wenn er neue aufsetzte; und seine Frau, die eine sehr gute Wäscherin war, reinigte das Weiszeug der vornehmsten Generäle, und erhielt für ein Hemd einen Frank, und alles so bezahlet, wie der Preis der besten Wäscherinnen in Paris ist. Von fremden Bauern blieb also unser Haus verschonet, und Demidowsche, die wir hätten einlassen müssen, kamen am Freytag Vormittag nicht. Etwa um ein Uhr Nachmittags, kamen, einige unserer russischen Einwohner ängstlich zu mir, und baten mich, mich so eilig als möglich irgendwo zu verbergen; da ein Bataillon Leibkosaken von der Petrowskaja herzöge, welche Nachsuchung nach Franzosen, und Deutsche hielten, um sie zu ermorden. Dem war aber nicht also, denn sie fragten nicht nach Bürgern, sondern nach Soldaten fremder Nationen, die etwa noch in Moskau verborgen blieben; welches sich später dadurch bewies, daß sie von allen Moskauer Einwohnern, die sich in der französischen Kirche, aus Furcht für einen solchen Ereigniß, versammelt hatten, auch nicht Einen beleidigten, nachdem sie sich überzeugten, daß keine Militairpersonen, unter ihnen befindlich waren. Die Wahrheit zu gestehen, traute ich meinen Warnern nicht ganz; denn ich dachte: Wenn es Befehl wäre, daß alle Ausländer ermordet werden sollten, meine Hausbewohner, auch mich nicht retten könnten, und Einige von ihnen, vielleicht nicht einmal wollen würden. Genug, jemehr sie in mich drangen, desto mißtrauischer ward ich – welchen vielleicht ganz ungerechten Argwohn mir die Barmherzigkeit Gottes, wie so viele meiner Sünden, mit dem Blute Christi, gnädig bedecken, u. vergeben wolle. – Ich antwortete aber entschlossen: Wenn es des Herrn Wille ist, daß ich heute sterben muß, so will ich es lieber unter freyem Himmel thun, als wie eine Maus in einer Falle gefangen, und dann getödtet zu werden. Sogleich befahl ich den Wächtern die Hofpforte zu öffnen, trat mitten in die Straße, und rief den ankommenden Kosaken, in russischer Sprache, so laut ich konnte zu: Die Unsrigen, Gottlob, die Unsrigen! Der ganze zahlreiche Trupp Leibkosaken, immer ihre Frage wiederholend „Wo sind Franzosen? Wo sind Deutsche?[“] sprengten an mir und meinen Hausleuten vorüber, und nur Einer der letzten Kosaken, hielt an, und fragte sehr bescheiden: Väterchen, hast du nichts zu Essen? Mich hungert sehr. Ich antwortete: Schtschy und Kasche habe ich, aber ohne Fleisch. Er hielt an, stieg ab, begleitete uns ins Haus, während der ganze Zug Kosaken nach der catholischen Kirche eilte, wohin man sie gewiesen hatte. Während dem Essen erzählte unser Gast, wie gut es mit der russischen, und schlecht mit der französischen Armee stünde, und jene 3000 Unteroffiziere, welche in der ersten Zeit des Einzugs in Moskau, mit den geraubten Schätzen nach Frankreich geschickt wurden, von den Kosaken aufgefangen, und ihnen die Beute abgenommen worden ist. Kurz, unser Leibkosak benahm sich so artig, fein, und gebildet, als wäre er in der besten Pension erzogen; und als ich ihm unaufgefordert ein Glas Brandtwein gab, nahm er so freundlich von mir Abschied, als wären wir alte vieljährige Bekannte. Den andern Häusern an der Schmiedebrücke ging es nicht so gut; denn, als die Kosaken aus der französischen Kirche zurückkamen, und alle Hofpforten, außer der Unsrigen fest verschlossen fanden, vermutheten sie, daß in den Häusern Militairpersonen verborgen wären, erbrachen mit Gewalt die Thüren, drangen ein, durchsuchten alles, und dadurch entstanden natürlich mancherley Unordnungen denen unser Haus allein durch Gottes sichtbaren Schutz entging. Unser Kosak kam noch zweymal wieder und bat jedesmal um ein Glas Brandtwein für einen guten Offizier, welches ich ihm gern gab; aber es ist sehr merkwürdig, daß außer diesem Einen, keiner mehr in unser Haus kam, ob gleich alle Höfe neben, und gegenüber unserer Wohnung von Kosaken erfüllet waren; auch keiner seiner Kameraden, oder Offiziere neugierig wurden: Woher er den guten Brandtwein holete, und selbst kamen, um gleicher Gabe theilhaftig zu werden. Ja wahrlich, Gott kann schützen, und schützet wunderbarlich, wenn es Sein heiliger Wille ist. Sobald die Kosaken von der Schmiedebrücke gegen Abend abgezogen waren, und viele meiner Nachbarn mir ihre Noth klageten, die sie während dem kurzen Besuche erlitten hatten; ließ ich die Hofpforte wieder fest zu machen; und ausser, daß sich die Zahl der Bauern in der Stadt vermehrete, fiel nichts besonders mehr an diesem Tage vor. Aber in der Nacht vom Freytag auf dem Sonnabend, hörte man stark schießen sowohl aus Gewehren wie auch aus Kanonen. Man vernahm deutlich das Rufen russischer und französischer Feldposten, u. als mich die Reihe traf, auf dem hölzernen Thürmchen über unserm Hause die Wache zu halten – welches Tag und Nacht alle meine Einwohner thaten; und ich im Finstern ganz allein auf meinen Posten war; überfiel auf einmal eine solche Trostlosigkeit, und namenlose Angst, wie ich sie in meinem ganzen Leben, in den größten Gefahren, und allerschwierigsten Verhältnissen meines Daseyns nie empfunden hatte, welches mir um so schmerzlicher war, da ich in dieser ganzen Zeit mich ganz besonders von Gott gestärket gefühlet hatte, selbst in dem Augenblicke, als die Demidowschen Bauern mich umringten, hatte mir der Herr so viel Furchtlosigkeit geschenkt, als ob nicht die mindeste Gefahr zu befürchten wäre; aber das Schießen, Schreyen, Hundegeheull, Rasseln der Wagen, Galloppieren der Pferde, kurz die sehr grausige Umgebung meines einsamen Wachtpostens hatte mich in eine wahre Verlassenheit von Gott versetzet. Meine Angst stieg mit jedem Augenblick, und alles, was ich mir selbst zu meiner Beruhigung sagte, vermehrte nur meine Trostlosigkeit. So fand mich Herr Czermack, der mich aufsuchte, gegen Morgen. Im Heraufsteigen zu mir berührte er zufällig, meine am Leibe schlaff herabhängende Hand, welche heftig zitterte. Auf sein Befragen: Ob ich nicht wohl sey? Bemühte ich mich ihm meinen Seelenzustand zu schildern. Er erschrack, und sagte: Mein Gott, wenn Sie den Muth verlieren, an dessen ruhiges gefaßtes Benehmen, wir uns alle stärkten, und aufrichteten, was sollen wir thun? Nun gab er sich Mühe mich zu beruhigen, indem er mir alle Wunder vorhielt, die Gott in dieser Zeit für uns gethan hatte, er wiederholete mehrere meiner eignen Aeusserungen, womit ich ihn und mehrere Andre, zum Vertrauen auf Gotte, dem Allhelfer in Stunden der Gefahr ermuthigte; aber alles vergeblich, denn alles that eine verkehrte Wirkung, und mir ward nur um so banger in der Seele. Er ging endlich auf mein dringendes Bitten, mich allein zu lassen. Ich kämpfte, und rang mit wahrer Todesangst fort bis der Morgen grauete. Da kamen zwey Reiter in Mäntel gehüllet langsam die Schmiedebrücke herauf. Die Neugierde überwand meine Angst, denn es kam alles darauf an, ob diese beyden Reiter, Russen, oder Franzosen waren; weil wir von letztern zu befürchten hatten, daß sie durch andre Mittel Moskau völlig zerstören würden, da ihre Absicht, dieses durch Sprengung des Kremls zu bewirken fehlgeschlagen war. Ich nahm eine solche Stellung, daß ich die Reiter, sie aber mich nicht sehen konnten. Es war aber noch so dunkel, daß ich ihre Uniform nicht zu erkennen vermochte. Wer beschreibt aber mein Erstaunen, oder vielmehr meinen Schrecken, als sie grade vor unserm Hause, an der entgegengesetzten Seite der Straße stille hielten, einer von ihnen abstieg, und sein Pferd, dem andern Reiter zu halten gab. Schon glaubte ich, sie hätten mich wahrgenommen, da die Fenster meines Aufenthaltsortes sämtlich zerschmettert waren, und meine Angst kehrte verzehnfacht wieder. Ich wollte bereits ins Haus hinunter gehen, als ich sah, daß der abgestiegene Reiter nur ein natürliches Bedürfniß verrichten wollte. Ich blieb wieder auf meinem Platze, weil mir zuviel daran lag, die Uniform zu erkennen, welche diese Kavalleristen trugen. Es dauerte sehr lange, bis der Herabgestiegene wieder aufsaß. Auch bewiesen die Bewegungen seines Cameraden – was er sprach konnte ich nicht hören – seine große Ungeduld; denn er wollte mehreremal allein davon reiten. Mittlerweile ward es aber so weit helle, daß ich erkennen konnte „es seyen russische Polizeydragoner[“], und mit dieser Wahrnehmung schwand auch meine gehabte Angst, und ich kam völlig beruhiget hinunter in meine Wohnung. Im friedlichen bürgerlichen Leben, scheinen solche Ereignisse kleinlich, ja lächerlich; aber sie haben in solchen Lagen, wie die meinige damals in Moskau war, eine unbeschreibliche Wichtigkeit, scheint es doch, als ob dem Dragoner bloß darum ein Bedürfniß nöthigen mußte, vor unserm Hause so lange still zu halten, damit ich erkennen sollte, daß die Russen im Besitze von Moskau sind, woran mir so unendlich viel lag. Am Sonnabend vermehrten sich die Bauern in der Stadt, welche viel Unfug trieben, und nur einzelne Kosaken, und Polizeydragoner sah man, die sich aber um die Bauern nicht bekümmerten. Von den Demidowschen Dorfbewohnern kam den ganzen Tag keiner, und auch von andern Bauern blieb unser Haus wunderbar verschont, ob sie gleich gegen uns über, und zu beyden Seiten unseres Hauses großen Unfug trieben, und wir sie so fürchterlich brüllen höreten, als ob sie bey uns auf dem Hofe wären. Sonntag früh füllete sich unser Hof mit Demidowschen Bauern, denn ich hatte befohlen, ihnen den Einlaß nicht zu wehren, weil wir ja ohnehin nicht stark genug waren, ihr Eindringen zu hindern, wenn sie ihn mit Gewalt erzwingen wollten. Gegen eilf Uhr Vormittags kamen diejenigen, welche mich in der Nacht am Donnerstag umbringen wollten, mit noch vielen Andern, angeführet von einem Schreiber, in mein Zimmer, und der Schreiber sagte: Nun sind wir gekommen dich todtzuschlagen, und nichts soll dich retten, wenn auch noch zehn solche Schläge kämen, wie der am Donnerstage war, der dich von unsern Händen befreyete. In diesem Augenblick gab mir mein treuer, erbarmungsvoller Gott, der mir im Laufe meines merkwürdigen Lebens, so viele Beweise Seiner wundervollen – von mir nicht verdienten – Durchhülfe gegeben hat; auch jetzt wieder so viele Geistesruhe, und besonnenem Muth, daß ich den Mördern, kalt und vollkommen furchtlos antworten konnte: Wenn es Gottes Wille ist, daß ich