Россия и Запад — страница 33 из 124

что пора выходить, что яйцу не сносить скорлупки.

В каждом из нас сидит крестьянин, специалист

по прогнозам погоды. Как то: осенний лист,

падая вниз лицом, сулит недород. Оракул

не лучше, когда в жилище входит закон в плаще:

ваши дни сочтены — судьею или вообще

у вас их, что называется, кот наплакал.

Что-что, а примет у нас природа не отберет.

Херувим — тот может не знать, где у него перед,

где зад. Не то человек. Человеку всюду

мнится та перспектива, в которой он

пропадает из виду. И если он слышит звон,

то звонят по нему: пьют, бьют и сдают посуду.

Поэтому лучше бесстрашие! Линия на руке,

пляска розовых цифр в троллейбусном номерке,

плюс эффект штукатурки в комнате Валтасара

подтверждают лишь то, что у судьбы, увы,

вариантов меньше, чем жертв; что вы

скорей всего кончите именно как сказала

цыганка вашей соседке, брату, сестре, жене

приятеля, а не вам. Перо скрипит в тишине,

в которой есть нечто посмертное, обратное танцам в клубе,

настолько она оглушительна; некий антиобстрел.

Впрочем, все это значит просто, что постарел,

что червяк устал извиваться в клюве.

Пыль садится на вещи летом, как снег зимой.

В этом — заслуга поверхности, плоскости. В ней самой

есть эта тяга вверх: к пыли и к снегу. Или

просто к небытию. И, сродни строке,

«не забывай меня» шепчет пыль руке

с тряпкой, а мокрая тряпка вбирает шепот пыли.

По силе презренья догадываешься: новые времена.

По сверканью звезды — что жалость отменена

как уступка энергии низкой температуре

либо как указанье, что самому пора

выключить лампу; что скрип пера

в тишине по бумаге — бесстрашье в миниатюре.

Внемлите же этим речам, как пению червяка,

а не как музыке сфер, рассчитанной на века.

Глуше птичкиной песни, оно звончей, чем щучья

песня. Того, что грядет, не остановить дверным

замком. Но дурное не может произойти с дурным

человеком, и страх тавтологии — гарантия благополучья.[241]

Hier meine deutsche Übertragung, aus dem Band «Brief in die Oase», den ich zum 10. Todestag Joseph Brodskys 2006 herausgegeben habe:

Anmerkungen eines Farns

Gedenke meiner,

flüstert der Staub.

Peter Huchel

An der Position des Bauem errätst du den König.

Am Streifen Land in der Feme — dass du auf dem Schiff

                                                                  stehst seit ewig.

An den satten Noten in der Stimme der zarten Freundin im Hörer —

dass ein Nachfolger da ist: Student? oder Chirurg?

Ingenieur? Am Namen der Bahnstation — Einsamburg —

dass es Zeit ist auszusteigen, das Ei aus der Schale zu befördern.

In jedem von uns sitzt ein Bauer, ein Spezialist

für Wetterprognosen. Etwa so: ein Herbstblatt ist

fällt es vornüber aufs Gesicht, ein Missemtesignal. Das Orakel

ist nicht besser kommt zu dir im Regenmantel das Gesetz:

deine Tage sind gezählt — vom Richter, oder anders jetzt —

bleibt dir ohnehin wie man sagt nur noch ein Katzenkrakel.

Was denn, die Natur wird uns unsere Merkmale doch nicht nehmen.

Ein Cherub — der mag vielieicht nicht wissen von wegen

vorn und hinten. Anders der Mensch. Der Helle hat

überall die Perspektive dass er aus dem Gesichtsfeld

kippt. Und hört er eine Glocke an sein Hörorgan flitzen

so schlägt die ihm: man säufl man sticht man gibt den Teller ab.

Deshalb besser: keine Angst! Die zarten Linien in der Hand,

die rosa Ziffer die auf dem Trolleybus-Schildchen tanzt

plus der Effekt der Stukkatur im Zimmer von Belsazar

bestätigen nur dass leider-leider das Schicksal

weniger Varianten hat als Opfer; dass ihr nichts als

ein Restchen habt und am ehesten so endet wie die Wahrsager —

Zigeunerin eurer Nachbarin sagte, Bruder, Schwester, Frau

eures Freundes nur nicht euch. Die Feder kratzt im stillen Raum

in dem etwas wie «nach dem Tod» haust, umgekehrt wie

                                                         Klubtänze klingend

so sehr ist die Stille ohrenbetäubend; eine Art Anti-Beschuss.

Im übrigen heißt das alles schlicht: so alt bist du dass

der Wurm müde wird sich im Schnabel zu ringeln.

Der Staub setzt sich sommers auf die Dinge wie winters der Schnee.

Ein Verdienst der Oberfläche, der Flachheit. Von ihr aus weht

diese Tendenz nach Oben: zum Staub oder Schnee. Oder

einfach zum Nichtsein. Und etwas wie «vergiss mich nicht»

flüstert der Staub zur Hand mit dem Lappen; schließlich flicht

der das Flüstem des Staubs in seine feuchten faltigen Ohren.

An der Wucht der Verachtung errätst du: neue Zeiten.

Am Flimmern des Sterns — dass das Mitleid leider

abgeschafft ist als Rückzug der Energie: gedrosselter Wärme

oder dann als Signal dass es Zeit wird für einen selbst

die Lampe zu löschen; das Kratzen der Feder in der Stille hältst

du für den Versuch in Kleinschrift die Angst zu verlernen.

Vernehmt diese Reden als den Gesang des Wurms,

nicht als Sphärenmusik, nicht gedacht für die Jahrhun —

derte. Gedämpfter als ein Vögelchen aber voller tönend

als der Singsang des Hechts. Was schon nah

ist wird kein Tiirschloss stoppen. Doch Schlimmes kann ja

dem Schlechten nicht zustoßen, und Furcht vor Tautologie

                                                      ist Garantie für Wohlergehen.[242]

Worum das geheimnisvolle Gedicht kreist, wird in der 2. Strophe explizit: das Orakel. Um Zukunftsdeutung geht es hier, um die seit Urzeiten von den Völkern praktizierte Mantik, die Wahrsage — und Seherkunst. Und auch der mysteriöse Farn im Titel weist in dieselbe Richtung.

* * *

Farne sind lebende Fossile, die sich seit Hunderten von Millionen Jahren kaum verändert haben. Sie zählen zu den ältesten Pflanzen auf der Erde, waren im Karbon vor 350 Millionen Jahren die vorherrschende Landpflanze. Farne blühen nicht, bilden weder Samen noch Früchte, weshalb sie dem Menschen jahrtausendelang ein Rätsel waren.

Ein Kraut, das nicht blüht und sich trotzdem vermehrt? Die Menschen umgaben diese Pflanze seit je mit einer geheimnisvollen Aura, ihr wurden übematiirliche Kräfte zugeschrieben. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts lüftete der deutsche Botaniker Wilhelm Hofmeister (1824–1877) das Geheimnis der kleinen braunen Punkte auf der Unterseite der Farnwedel. Es sind Sporenkapseln, die bei trockenem Wetter aufreißen und die Sporen herausschleudem.

In der Geschichte des Aberglaubens schrieb der Farn ein gewichtiges Kapitel. Die Menschen glaubten, der Farn blühe nur in der Johannisnacht (24. Juni), der Nacht der Sommersonnenwende (Iwan Kupala bei den Slawen), die ohnehin ein Zeitraum für Magie und sonderbare Rituale war. Wem es in dieser Nacht gelang, den «Farnsamen» einzuholen, der gewann übematiirliche Zauberkräfte. Farn sollte unverwundbar machen, vor Blitz und Hagel schützen, Dämonen und Hexen fernhalten. Als Glücksbringer im Spiel und in der Liebe gait er, im Geldbeutel sorgte er dafür, dass dieser nie leer wurde, er verhalf zu Wohlstand und Reichtum. Mit Hilfe dieses (vermeintlichen, fiktiven) «Farnsamens» konnte man die Tiersprache verstehen, verborgene Schätze finden, sich unsichtbar machen. Shakespeare spielt in «Henry IV» (1. Teil, 2. Akt, 1. Szene) auf diesen Volksglauben an: «We have the receipt of fern-seed, we walk invisible».

Die giftigen Farne waren berüchtigtes Hexenkraut. Der Aberglaube um sie war so groß, dass Herzog Maximilian I. von Bayern im Jahre 1611 und das Konzil von Ferrara 1612 das Einholen von «Farnsamen» unter Strafe stellten. Im «Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens» hat der Farn reiche Spuren hinterlassen, und Jacob Grimm schreibt in seiner «Deutschen Mythologie» (II, 1012 f.):

…wer farnsamen holen will, muss keck sein und den teufel zwingen können. Man geht ihm auf Johannisnacht nach vor tagesanbruch, zündet ein feuer und legt tücher oder breite blätter unter das farnkraut, dann kann man seinen samen aufheben. Manche heften blühendes farnkraut über die hausthüre, dann geht alles gut… der farnsamen macht unsichtbar, ist aber schwer zu finden, denn nur in der mittsommemacht von zwölf bis eins reift er, und fällt dann gleich ab und ist verschwunden.

Bei diesem starken Bezug zur Magie erstaunt es nicht, dass Farnwedel bei Kelten, Angelsachsen und Slawen auch zur Zukunftsdeutung herangezogen wurden — allerdings in schriftloser Zeit, weshalb uns die Details der Deutung ein Rätsel bleiben müssen. Anhand der feinen Verästelungen, Kräuselungen, bizarren schneckenartigen Blatt-Einrollungen des Farnkrautes versuchten Druiden und Schamanen, Heiler und Hexer die Geheimnisse der Zukunft zu enthtillen. Das geheime mathematische Potential des Famkrauts wird sich sehr viel spater, nämlich in unserer Zeit, in Benoit Mandelbrots «Chaostheorie» wiederfmden.

* * *

Das Zauberkraut des Farns macht also unsichtbar, und unsichtbar bleibt in Brodskys Gedicht das Farn-Motiv nach seiner Erwähnung im Titel. Doch der Gedichttext umspielt, ironisiert und parodiert Orakelsprüche und alte Praktiken der Weissagung. Seien es simple Bauern — oder Wetterregeln (Anfang 2. Strophe), sei es die traditionell von Zigeunern praktizierte Handlesekunst, die Chiromantie (Übergang 4. / 5. Strophe), sei es eine alttestamentarische Weissagung, das Menetekel auf der Wand beim letzten babylonischen König Belsazar (3. Strophe), das beim Propheten Daniel (5, 25–30) geschildert wird. Auf die babylonische Praxis des Sterndeutens, die Kunst der Chaldäer, wird in der 7. Strophe angespielt: «Am Flimmern des Sterns — dass das Mitleid leider abgeschafft ist…»